Hyperborea - Meister des Stahls:

 
Die Übersetzung des französischen „Heroic Fantasy Rollenspiels“ „Bloodlust“ wurde auf der Spiel 2001 von Truant unter dem Titel „Hyperborea – Meister des Stahls“ vorgestellt.
Das Spiel ist als Box erschienen, die neben dem Regelwerk auch noch Charakterbögen, Würfel und einen Spielleiterschirm enthält. Neben dieser Version, die schon so ziemlich vergriffen ist, gibt es das RPG Sytem auch als Softcover, mit bis auf Würfel, Spielleiterschirm und seperate Charakterbögen, identischem Inhalt. (Kopierbare Vorlagen für den Charakterbogen gibt es auch hier)

Das System
Beim betrachten des Covers und der zahlreichen Illustrationen im Buch, dachte ich zunächst, dass es sich bei Hyperborea um ein weiteres Hack`n`Slay Rollenspiel handelt.
Doch das Durchlesen des Buches sollte mir bald das Gegenteil beweisen:
Die Spieler schlüpfen in die Rolle eines sogenannten Waffenträgers. Dabei handelt es sich um Krieger, die eine sogenannte Seelenwaffe besitzen.
Durch Dinge auf die ich hier nicht eingehen will, sind in diesen Waffen die Seelen von sehr sehr mächtigen Menschen gefangen. (Diese sind nicht ohne Grund von ihrem Körper getrennt. Sagen wir mal so, manche Leute sind zu gefährlich um sie nur zu töten)
Zum einen verleihen sie grosse Macht, zum anderen haben sie ihre eigenen Interessen, die nicht mit dennen des Trägers überein stimmen müssen.
Genau hier tritt der interessante spielerische Aspekt Hyperboreas auf.
Der Spieler besitzt somit nämlich nicht nur die Kontrolle über den Charakter, sondern auch über dessen Waffe (und deren Persönlichkeit) und muss beide in einen spielerischen Einklang bringen. Womit wir beim System des Spiels wären.
Einen wichtigen Aspekt eines jeden Waffenträgers stellen seine Verlangen (z.B. nach Gewalt, Reichtum oder Sex) da. Als wenn es nicht schon schwierig genug wäre diese auszuspielen, fließen jetzt noch die Verlangen der Waffe mit ein, die im Extremfall absolut gegensätzlich oder genau gleich sein können.
Bei Ersterem würde zum Beispiel der pazifistische Charakter davor zurückschrecken, seinem Opfer nur ein Haar zu krümmen, während seine Waffe geradezu darauf drängen würde, diesem den Kopf abzuschlagen.
Wenn umgekehrtes eintrifft, das heißt, das z.B. sowohl Waffe als auch Waffenträger nach Reichtum verlangen, kann es passieren, dass das Verlangen unkontrollierbar wird.
In diesem Fall tut der Charakter alles um an Geld zu kommen. Die Seelenwaffen treten mit ihren Träger übrigens telepathisch in Kontakt.

Das Ziel
Hat eine Waffe eine gewisse Erfahrung erlangt, versucht sie, in den Körper des Trägers überzuwechseln.
Das gelingt aber nur mit sehr unterschiedlichem Erfolg.
Im Gegensatz zu den Waffenträgern, sind Besessene auf Tanaephis, der Welt von Hyperborea, selten und es ranken sich viele Mythen und Legenden um sie. Diesen Grad zu erreichen sollte Ziel eines jeden Hyperborea Spielers sein. Das Regelwerk gibt noch einige Vorschläge wie man das Verhältnis zwischen Charakter und Waffe am authentischsten spielt.
Einer dieser Vorschläge beinhaltet, dass ein Spieler den Träger und ein anderer dessen Waffe übernimmt. Zwar stelle ich mir dies Variation sehr amüsant und spielerisch interessant vor, doch ist sie, wie von den Autoren selbst eingesehen wird, aufgrund der hohen Personenzahl, die schon für eine kleine Heldengruppe erforderlich ist, spieltechnisch schwer möglich.
So bleibt Hyperborea ein System, welches den Spielern einen gewissen Grad an Schizophrenie abverlangt.

Der Kampf
Ein meiner Meinung nach extrem gelungener Teil der Regeln ist das Kampfsystem: Jeder Spieler (und jeder NSC) bestimmt verdeckt, mit Hilfe eines W6 seine Kampfhandlung (W6 daher, weil es 6 verschiedene Handlungen gibt)
So kann es passieren, dass sich beide Gegner, z.B. für einen Brutalen Angriff entscheiden, und so beide aufeinander zu stürmen.
Dieses System fördert zum einen den Spielspaß ungeheuer, weil man viel mehr taktieren und den Gegner einschätzen muss zum anderen den Realismus, denn ich kann mir kaum einen Kampf vorstellen in dem die Gegner sich immer brav mit ihren Angriffen und Paraden abwechseln.

Die Völker
Der Hintergrund von Hyperborea ist, wie es das System erwarten lässt, geprägt von Krieg, Brutalität und ständigen Machtwechseln, jedoch gefallen mir die Eigenheiten der verschiedenen Völker.
Da wären zum Einen die Wikingerähnlichen Pioraden, die „auf ihren fleischfressenden Schlachtrössern die Nachbarn in Angst und Schrecken versetzen“, die Amazonenartigen Sekeri, die ihre Kinder nicht selbst gebären, sondern anderen Völkern stehlen, oder auch die Vorusker, die vor allem die Kunst des Bauens verstehen, und ein von Bürokratie geprägtes Staatssystem gegründet haben.
Daneben gibt es noch einige weitere Völker, von den jedes seine ganz eigenen Vor- und Nachteile hat, die sie alle spieltechnisch interessant machen.

Die Welt
Das mit der Überschrift „Atlas“ versehene Kapitel gleicht einem Schulbuch für Geographie. Hier findet man alle möglichen und unmöglichen Informationen über die Beschaffenheit des Landes, seien es Klimazonen, Handelsbeziehungen oder Vegetation. Dieser Teil ist in erster Linie für Spielleiter interessant und auch da eher für die, die ein eigenes Abenteuer schreiben, bzw. vorhandene verändern möchten.

Zugabe
Dem Atlaskapitel folgen umfangreiche Anhänge, die zum Beispiel die verschiedenen Tiere samt Spielwerte und Lebensraum beschreiben, oder auch Auskunft über Krankheiten etc. geben. Hier findet man eben alles, was im Spielalltag mal schnell nachgeschlagen werden muss.
Interessant finde ich hier die Beschreibung der Auswirkungen der verschiedenen Mondphasen auf die Charaktere. Auch vorgefertigte Charaktere sind im Anhang zu finden, die für ein kleines Testspiel durchaus ausreichen.
Am Ende folgt eine sogenannte Abenteuerkampagne. Den Namen Kampagne hat sie jedoch nicht verdient, da es sich meiner Meinung nach um ein normales Abenteuer handelt. Auch wenn die Story durchaus gut ist, würde ich mir von einem Einsteigerabenteuer einiges mehr erwarten.
Es werden praktisch keine Tips zum Spielen des Verhältnisses Mensch/Waffe anhand von konkreten Situationen gegeben, und auch die Ausarbeitung ist extrem karg.
Für erfahrene Spielleiter und Gruppen mag das Abenteuer eine Herausforderung darstellen, doch als Einstieg in die Welt von Hyperborea ist es meiner Meinung nach ungeeignet, weil es viel zu oberflächlich geschrieben ist und viel Vorbereitung bedarf.
Gerade für Neulinge, die mit Hyperborea in die Welt des Rollenspiels einsteigen möchten, ist das Abenteuer der erste Stolperstein.

Fazit:
Hyperborea ist ein Spiel, was dank seiner neuen Ideen im Bereich Charaktere und Kampfsystem eine nette Abwechslung für erfahrene Spieler darstellen kann und daher nicht als Hackn`n`Slay Spiel abgetan werden darf.
Der Hintergrund ist komplex und gut durchdacht. Für Anfänger ist es jedoch ungeeignet, da erstens das Spiel von zwei eigenständigen Charakteren gleichzeitig eine große Erfahrung erfordert, und zweitens das Abenteuer nur grobe Ansätze liefert und zu wenig ins Detail geht.
Ich empfehle erfahrenen Spielern Hyperborea auszuprobieren, da es spieltechnisch interessanter als andere mir bekannte Rollenspiele ist, und eine völlig neue Herausforderung an die Spieler und den Spielleiter stellt.
Insbesondere das Kampfsystem kann lohnend sein.